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Dialog

Karin Radoy Dialog
Text: Juliane Rogge
Karin Radoy
Dialog
Text: Juliane Rogge

Karin Radoys Schaffen ist dem »Verhältnis zwischen Farbe und Form im Raum« gewidmet. Dabei ist der Dialog wohl das konstituierende Moment – ihre Kunstwerke manifestieren den Dialog zwischen Malerei und Skulptur, Farbe und Form, Oberfläche und Volumen, in ihrer spezifischen Rhythmisierung auch zwischen dem Ganzen und seinen Teilen, natürlich auch zwischen Kunstwerk und Raum und Wandfläche und nicht zuletzt zwischen Objekt und Betrachter*in.

In Karin Radoys Arbeiten stehen Malerei und Skulptur in einem so engen Dialog, dass sie als beides zugleich gelten müssen – »Farbkörper mit großer sinnlicher Präsenz«². Die Künstlerin kommt von der klassischen Malerei her. Ihr Element ist die Farbe und ihre Erscheinung, das Ausloten von »Gegensatz, Zusammenspiel, Steigerung und gegenseitige[r] Beeinflussung von Farberscheinung und Bildraum«³. Ihr bildnerisches Anliegen definiert sie selbst als »nicht die Bedeutung oder Funktion der Farbe […], sondern ihre Wirkung im Wechselspiel von Figur und Grund, die Tiefenstaffelung, die Ordnung erzeugt und sie wieder in Frage stellt. Kontraste bilden sich: hell zu dunkel, warm zu kalt; Simultanität. Farbe hält das Auge in Bewegung, geprägt von Autonomie und Intensität. Es entsteht Bewegung, in der Fläche zu Raum und Farbe zu Licht werden.«⁴

Diese Dialoge von Farbwerten untereinander, aber auch Farbigkeit und (zweidimensionaler) Form sowie Farbe, Fläche und Raum zeichnen Karin Radoys Werk im Allgemeinen und im Besonderen ihre malerischen Arbeiten auf Papier aus. Die Farbfelder entstehen aus mehreren übereinander gelegten Farbschichten, die sich im Auge mischen und dennoch – zumindest teilweise – in ihren Bestandteilen nachvollziehbar bleiben.

Auch Karin Radoys dreidimensionale Werke erscheinen zunächst in ihrer Gesamtheit fast monochrom, d.h. einheitlich farbig, in den neueren Arbeiten wirkt die Oberfläche sogar besonders dicht und geschlossen. Als »gußartige Materie von transluzenter Leuchtkraft, die sich gleich einer straffen Haut über den Bildkörper spannt« charakterisierte Birgit Sonna⁵ die Farboberfläche der plastischen Arbeiten, die sich aber bei näherer Betrachtung offenbart als tiefer Bildraum, der aus unzähligen einzelnen Farben und Schattierungen aufgebaut ist – aus mehreren Dutzend lasierenden Farbschichten, die Karin Radoy mit dem Spachtel aufträgt. Im Dialog mit der glatten, abgeschlossenen und einheitlichen Oberfläche steht so eine beeindruckend wahrnehmbare Vielschichtigkeit, faszinierende Tiefe und Zugänglichkeit.

Die besondere Technik erzeugt auch eine sehr lebendige Struktur der Malerei, die der eher strengen, geschlossenen und klaren, präzisen (Flächen)Form ihres Bildträgers gegenübersteht. Das Format und die spezifische Farbigkeit beeinflussen einander: Die Farbe kann die Form z.B. größer oder kleiner wirken lassen, ebenso wie die Form die Erscheinung der Farbe modifiziert. Beides steht in Dialog miteinander, ein Dialog, der sich unter Karin Radoys Hand entwickelt – zwar nach einem gewissen Konzept, aber nicht nach Plan. In der Malerei bekommt der Zufall bzw. das Ungeplante seinen Raum, während die Form das exakte Kalkül braucht.

Karin Radoy ist Malerin, aber der Malerei zuliebe ist sie auch Bildhauerin: Eigens für ihre Malereien baut sie aus dünnen, biegsamen Holzplatten optimale Bildträger, die aber von außerordentlicher räumlicher Sensibilität zeugen. Sie sind voluminös, wenn auch sie eher einansichtig bleiben, eher auf die Vorderseite konzentriert.

Die Oberfläche ist samtig, ganz abgeschlossen und strukturlos. Allein die dem Holz eigene Farbstruktur – die Maserung – gilt es zunächst mit einer gründlichen Gipsgrundierung auszulöschen.

Was diese Holzkörper mit klassischen Bildträgern – Leinwand, Tafel – verbindet, ist das Vorhandensein einer viereckigen Fläche mit meist geraden (in manchen Fällen aber auch gebogenen) Kanten, die aber im Unterschied dazu nicht rechteckig und ebensowenig wandparallel plan, sondern durchaus schräg, und vor allem, gerade bei den neueren Arbeiten, wunderbar sinnlich gebogen und gewölbt ist.

Diese Oberflächen, die eben nicht flach sind, stehen wiederum in Dialog mit der voluminösen, körperlichen Räumlichkeit der Objekte – und gerade auch diese Volumenhaftigkeit und die Farbigkeit kommunizieren miteinander. Die Farbe kann das Objekt so auch leichter oder schwerer, massiver oder zierlicher wirken lassen. Und ebenso lassen die Objekte die Farben »klingen« – »Resonanzkästen für Farbklänge« nannte Wilhelm Warning sie.⁶

Karin Radoy entwickelte diese plastischen, rundherum bemalten⁷ und flexibel zu platzierenden – sogar drehbaren – Bildträger aus der Fragestellung nach der Positionierung ihrer Malereien im Raum: wie können sie präsentiert werden, welches Verhältnis zur Wand (und damit auch zum Raum) können und sollen sie eingehen, werden sie gerahmt, gehängt, gestellt?

Es sind, möchte man einen Begriff dafür finden, wohl Wandobjekte, d.h. Objekte, die wie die klassische Tafelmalerei oft in erster Linie eine viereckige Fläche präsentieren und im engen Zusammenhang mit der Wand stehen (nämlich hängen), die aber dennoch eine besondere körperhafte Qualität und gestaltende, modifizierende Kraft im räumlichen Sinne haben. Sie stehen im Dialog mit der Wand als Teil des Raums.

Dieses komplexe, feine, sehr sensible Wechselspiel wird auch modifiziert durch die Lage der Wand im Raum. Dieses Verhältnis ist für Karin Radoy bei jeder Hängung wichtig. Hinzu kommt, dass das spezifische Licht einer jeden Position die Erscheinung und Wahrnehmbarkeit der Farbigkeit beeinflusst. Die Farbe wiederum aber setzt Karin Radoy, so Hans-Peter Riese, »bewusst als raumsetzende, Raum konstituierende Kraft«⁸ ein – »sie transformiert den Raum.«⁹

Charakteristikum von Karin Radoys Werken ist ihre Mehrteiligkeit, durch die ihre Körperhaftigkeit und dreidimensionale Form auch in besonderer Weise unterstrichen wird. Auch in ihrer Mehrteiligkeit sind die Arbeiten in sich dialogisch: Sie zeichnen sich durch das Kommunizieren der einzelnen Elemente miteinander, untereinander aus. Ein guter Dialog ist geprägt durch ein ausgewogenes Machtverhältnis – so ist es auch eine vertikale, nicht horizontale Trennung bzw. Struktur der einzelnen Segmente, die in Karin Radoys Arbeiten bereits sehr früh angelegt ist. Oft sind die Arbeiten zweiteilig (manchmal aber auch aus mehr Elementen bestehend), wobei die Elemente zwar getrennt, aber sehr dicht, nur durch eine Art Fuge rhythmisiert, nebeneinander positioniert sind und besonders durch ihre gemeinsame, identische Farbigkeit als Einheit wirken. Tatsächlich haben diese Elemente oft auch eine identische, lediglich gedrehte oder gespiegelte Form.

Die einzelnen Elemente können beliebig gedreht und getauscht werden, sogar durch den Betrachter. Diese Erfahrung befördert die Erkenntnis, wie sehr Format, Proportionen, Struktur und Ausrichtung des Werks auf der Wand, d.h. im Raum, seine plastische, räumliche Erscheinung beeinflussen.

Sowohl die spezifische Körperlichkeit als auch die Farbigkeit der Werke Karin Radoys haben einen Zauber, der sich nicht in der Abbildung, nur in der direkten Erfahrung ganz entfalten kann. Wenngleich Karin Radoys Arbeiten selbst eher still und zurückhaltend sind, fordern sie den Betrachter zur Bewegung auf. Nur so lassen sich die Volumina, die plastischen Oberflächen und vor allem auch die komplexen Farbigkeiten – einem Kristall in Struktur und farblicher Wahrnehmbarkeit nicht unähnlich¹⁰ – angemessen erfassen. Im Blick aus der Ferne lassen sich die Verhältnisse zum Raum, aber auch die Plastizität der Körper erfahren, die Nahsicht verlockt insbesondere durch die sinnliche Oberflächengestaltung, die Tiefenwirkung der vielschichtigen, differenzierten Farbfläche zum Verweilen.¹¹

Karin Radoys Arbeiten entwickeln unter all diesen Gesichtspunkten unendliche, immer einzigartige Dialoge von Farbe und Form im Raum. ||

  • ¹ Johannes Brümmer, Schicht für Schicht. Anmerkungen zu Karin Radoys künstlerischem Schaffen, in: Karin Radoy. Schicht für Schicht, Ausstellungskat. Galerie Großkinsky&Brümmer, Karlsruhe 1997, S. 5.
  • ² Ebenda, S. 7.
  • ³ Ebenda, S. 5.
  • ⁴ Ebenda.
  • ⁵ Birgit Sonna, Opalisierende Resonanzkörper der Malerei. Zu Karin Radoys Wandobjekten, in: Karin Radoy. Objekte und Arbeiten auf Papier, Ausst.-Kat. Villa Concordia, Bamberg [u.a.], hg. vom Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia, Bamberg 2002, S.14.
  • ⁶ Wilhelm Warning, Polar, in: Karin Radoy. Polaire/Polar, hg. v. galerie gimpel&müller, Paris 2010, S.20.
  • ⁷ Brümmer (wie Anm. 1), auch Sonna (wie Anm. 4), wiesen auf die Tradition des all-over des Abstrakten Expressionismus und auch auf die Tradition des shaped canvas hin. Karin Radoys Position ist aber auch in Hinblick auf diese Wurzeln eine sehr konsequent eigenständige–sowohl hinsichtlich des Zwecks als auch der Umsetzung.
  • ⁸ Hans-Peter Riese, Harmonie der Gegensätze.
  • Zu den Arbeiten von Karin Radoy und Klaus Staudt, in: Vis-à-Vis. Karin Radoy Klaus Staudt, hg. v. Muzeum Ziemi Chełmskiej w Chełmie, Chełm 2013, S. 26.
  • ⁹ Ebenda.
  • ¹⁰ Brümmer (wie Anm. 1), S. 10.
  • ¹¹ Ebenda.

Juliane Rogge, geb. 1989, studierte Klassische Archäologie und Kunstgeschichte in Münster, Wien und Rom und schloss ihr Masterstudium 2014 mit einer Arbeit zur Antikenrezeption im 15. Jahrhundert ab. Sie war Kunstvermittlerin u.a. am LWL-Museum für Kunst und Kulturgeschichte und am Kunstmuseum Pablo Picasso in Münster und Geschäftsführerin des Kunstvereins Arnsberg e.V. Seit 2015 lebt sie mit ihrer Familie in Soest und befasst sich als selbständige Kunsthistorikerin vor allem mit zeitgenössischer konkreter Kunst. Sie ist u.a. tätig für die Stiftung Konzeptuelle Kunst in Soest und die Carlernst Kürten-Stiftung in Unna.